3. Ursächlicher Zusammenhang
3.1 Allgemeines
Nur wenn die unter Nummer 2.1 genannten Tatsachen ermittelt und im Sinne von Nummer 2.1 bewiesen sind, kann die ärztliche Begutachtung des ursächlichen Zusammenhangs erfolgen. Die Gesundheitsstörungen, die vor Eintritt des schädigenden Vorgangs bestanden haben oder bei Eintritt bestehen, sind von der primären und sekundären Gesundheitsstörung abzugrenzen.
3.2 Kausalkette
Zwischen dem Ereignis, der primären und der sekundären Gesundheitsstörung muss ein nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht unterbrochener ursächlicher Zusammenhang bestehen. Die primäre Gesundheitsstörung muss durch das Ereignis verursacht sein und die sekundäre Gesundheitsstörung muss durch die primäre Gesundheitsstörung verursacht sein. Erst in diesem Fall ist der ursächliche Zusammenhang gegeben.
3.3 Schädigendes Ereignis, gesundheitliche Schädigung, Schädigungsfolge
Ist der ursächliche Zusammenhang im Sinne von Nummer 3.2 zu bejahen, ist
a) das Ereignis das schädigende Ereignis,
b) die primäre Gesundheitsstörung die gesundheitliche Schädigung und
c) die sekundäre Gesundheitsstörung die Gesundheitsstörung als Folge der Schädigung (Schädigungsfolge).
3.4 Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs
3.4.1 Für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs genügt entschädigungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit. Sie ist gegeben, wenn nach dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht. Es reicht für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, dass dieser nur möglich ist.
3.4.2 Haben konkurrierende Ursachen zur primären Gesundheitsstörung beigetragen und kommt einem Ereignis gegenüber der Gesamtheit der anderen Ursachen eine mindestens gleichwertige Bedeutung zu, ist alleine jenes Ereignis schädigendes Ereignis und wesentliche Ursache im entschädigungsrechtlichen Sinn.
3.4.3 Nummer 3.4.2 gilt entsprechend, wenn die sekundäre Gesundheitsstörung auf konkurrierenden Ursachen beruht.
3.4.4 Bei der Anwendung der Vermutungsregelung des § 4 Absatz 5 des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB XIV) gilt Folgendes:
Bei einer psychischen Gesundheitsstörung wird der ursächliche Zusammenhang kraft Gesetzes vermutet, wenn die Vermutung nicht durch einen anderen Kausalverlauf widerlegt wird (§ 4 Absatz 5 SGB XIV). Voraussetzung ist, dass die psychische Gesundheitsstörung nach einer der international anerkannten Klassifikationen (ICD-10 bzw. ICD-11 oder DSM-5) unter Verwendung der dortigen Bezeichnungen auf der Grundlage des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes durch behandelnde Ärzte und Fachärzte diagnostiziert worden ist.
Das schädigende Ereignis muss in seiner Art und Schwere nach den Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft geeignet sein, diese Gesundheitsstörung zu begründen.
Die Diagnosesicherung beinhaltet auch die Differenzierung zwischen Entstehung und Verschlimmerung der psychischen Gesundheitsstörung.
Liegen diese Voraussetzungen vor, ist die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs im Sinne einer Kausalitätsprüfung (Nummer 3.4.1 bis 3.4.3) zu vermuten, wenn keine Anhaltspunkte für einen anderen ursächlichen Zusammenhang vorliegen.
3.4.5 Bei Vorliegen von Anhaltspunkten für einen anderen Kausalverlauf ist die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs nach Nummer 3.4.1 bis 3.4.3 zu prüfen.
3.4.6 Anhaltspunkte für einen anderen Kausalverlauf liegen insbesondere dann vor,
a) wenn Art und Schwere des Ereignisses nicht geeignet sind, eine psychische Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge hervorzurufen,
b) wenn sich bei der Tatsachenfeststellung nach Nummer 2 Hinweise auf eine bereits vor dem schädigenden Ereignis bestehende psychische Gesundheitsstörung ergeben,
c) wenn sich bei der Tatsachenfeststellung nach Nummer 2 Hinweise auf ein anderes, jedoch nicht nach § 4 Absatz 1 des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch zu berücksichtigendes schädigendes Ereignis ergeben, das nach Art und Schwere für sich betrachtet geeignet ist, eine psychische Gesundheitsstörung hervorzurufen, oder
d) wenn nach aktuellem medizinisch-wissenschaftlichem Kenntnisstand ein Ursachenzusammenhang zwischen einem auf die Psyche einwirkenden schädigenden Ereignis und einer psychischen Gesundheitsstörung nicht vorliegen kann, wie dies insbesondere bei der Entstehung von dementiellen und Intelligenzstörungen der Fall ist; das Auftreten einer komorbiden psychischen Gesundheitsstörung oder eine Verschlechterung der Auswirkungen von dementiellen oder Intelligenzstörungen auf die Teilhabe als Folge eines auf die Psyche einwirkenden schädigenden Ereignisses ist dadurch nicht ausgeschlossen.